Das alte Geburtshaus

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Das alte Geburtshaus


Als im Jahr 4 ndW Jameyo seinen jungen Landsmann Ihlandîl bei Seite nahm und ihm mitten im Ruinengürtel Ahinjamuhrs einen Ort zeigte, wo es sich seiner Meinung nach lohnen würde, doch ein wenig zu graben und nachzuforschen, hielt der Halblemuri dies für ein erstes Abenteuer, einen Versuch Jameyos, ihn behutsam auf den Pfad der Renrar zu führen, wo doch bekannt war, dass der Sohn von Megaira und Rgorith die Ambitionen hatte, diesem Lebensweg zu folgen.

Was Ihlandîl fand, war einmal mehr ein Loch im Boden, das zu einem alten, längst vergessenen Gang hinab stieg, der wiederum zu einem Raum führte. Doch war dieser Raum von jedweden Zerstörungen verschont geblieben. Der junge Lemuri fand sich in einem nahezu quadratischen Raum wieder, dessen Kantenlängen etwa fünfzehn Schritt betrugen. Die Wände des Raumes waren über und über mit kostbaren Malereien voller Farbenfreude und Realitätstreue bedeckt. Sie zeigten Alltagsszenen aus dem Leben der Aijnan, aber auch durchaus romantische und sogar erotische Momentaufnahmen, ohne dabei aber explizit zu werden. Innerhalb des Raumes lag ein Becken mit den Kantenlängen von zehn Schritt. Eine Treppe mit flachen Stufen führte in das Becken, das eine Höhe von etwas über einem Schritt aufwies. Das leicht als Wasserbassin zu identifizierende Becken war nicht leer. Es war bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Dabei war das Wasser nicht einmal abgestanden und trüb, sondern klar und lebendig, denn ein kleiner Zu- wie auch Abfluss, als wäre dort ein unterirdischer Bach durch das Becken geführt worden, sorgte für einen natürlichen und ständigen Wasseraustausch.

Als Ihlandîl das Wasser kostete und feststellte, dass es sich um äußerst angenehmes Wasser handelte, stand sein Entschluss fest, diesen wundervollen Ort, der eine Aura von Beständigkeit, aber auch Wärme und Geborgenheit ausstrahlte, seiner Liebsten und Gefährtin Mia zu zeigen.

Die junge Halbaijnan zeigte sich nicht weniger beeindruckt von diesem lang vergessenen Ort und beide machten ihn zu ihrem persönlichen Refugium, das sie selbst vor ihren Freunden geheim hielten. Dort verbrachten sie viele, zärtliche und gemeinsame Stunden in Nähe, Zärtlichkeit und Gespräch. Doch war beiden bewusst, dass sie irgendwann einmal von diesem Fund würden berichten müssen, denn dieses Schwimmbecken war, wie sie dachten, ein weiteres Zeugnis der Vergangenheit und Geschichte des Volkes der Aijnan, und es dürfte nicht von ihnen verborgen gehalten werden.


Während einer dieser zärtlichen Stunden voller Zweisamkeit war es reiner Zufall, dass Ihlandîl auf dem Boden des Beckens auf etwas trat, das sich als uralte Geldmünze entpuppte. Das Besondere an dieser Münze war die Tatsache, dass sie aus Metall war. Und Metallmünzen sind seit Jahrtausenden so weit im Landesinneren Thrumumbahrs etwas Außergewöhnliches. In Ihlandîl, aber auch in Mia erwachte der Forscher- und sogar Abenteurersinn. Sie nahmen sich das Loch des Abflusses des Beckens vor, in der Hoffnung, dass ewige währende Unterspülung dort vielleicht eine Mulde erschaffen hatte, in der sich weitere Gegenstände gesammelt haben mögen, die dereinst in das Becken geworfen worden waren.

Ihre gemeinsame Hoffnung erfüllte sich und sie förderten eine ganze Reihe weiterer Münzen aus Metall, aber auch Glas und Fischbein zu Tage. Aber auch Kleinodien wie Ringe und Broschen. Sogar einen winzigen Zierdolch fanden sie. Aber gerade eine Brosche, die sich erdreistet hatte, Mia in den Finger zu stechen, band die Aufmerksamkeit der beiden, war sie doch eine Mischung aus Metall, Fischbein und Glas und damit eine Zusammenstellung, wie man sie weder heute, noch zur Zeit des Seelenschlags vorfand. In beiden wuchs die Vermutung, dass dieser Ort sehr viel älter als die anderen, bisher gefundenen Orte der Vergangenheit in Ahinjamuhr war und vielleicht sogar aus der Gründungszeit der Stadt stammte. Einer Zeit, als die Aijnan noch Galater und Flüchtlinge von Galat waren. Einer Zeit, wo die Aijnan noch wenige waren und letztendlich ums Überleben kämpften. Gerade erst der Verfolgung auf dem eigentlichen Heimatplaneten entronnen.


Beiden wurde rasch klar, dass die Erstvermutung, es könne sich hier um so etwas wie einen Wunschbrunnen handeln, an dem Leute Kleinodien opferten, um etwas von der Göttin zu erbitten oder ihr zu danken, nicht stimmen konnte, denn die Uraijnan würden zu der Zeit wahrlich andere Probleme gehabt haben, als ein solches Bauwerk für nur diesen Zweck zu errichten.

Doch dann fügten sich mehrere offen liegende Indizien zu einem viel plausibleren Bild zusammen. Die ersten Aijnan waren eine kleine Gruppe, deren Wunsch es gewesen sein muss, in Frieden eine neue Existenz aufzubauen und zu wachsen, sich im wahrsten Sinne zu mehren. Und dann gab es dieses Becken. Schöne Bilder, die eine beruhigende, gar behütende Atmosphäre zauberten, ein Wasserbecken, dessen Wasser angenehm ist, den Leib regelrecht umschmeichelt und das durch den natürlichen Zu- und Abfluss regelmäßig und recht schnell getauscht wird, eine Beckenhöhe, bei der der Kopf eines sogar hockenden immer über der Wasserlinie ist und ein Treppenzugang, der es eben auch einer hoch Schwangeren ermöglichen würde, hinein zu kommen, ließ den beiden nur noch den einen Schluss zu, dass es sich hierbei um ein Geburtsbecken handelte. Die gefundenen Kleinodien würden entsprechend den Dank für eine glückliche Geburt darstellen oder der Bitte um Selbige.


Nun hatten beide keine andere Möglichkeit mehr, als diesen Schatz der Vergangenheit zu melden. Und tatsächlich wandten sie sich an Mias Großmutter Sorei, um ihre Vermutungen zu bestätigen. Die Weise Frau zog jedoch noch die Freundin und Weise Theiwia zu Rate, die in Dingen der Niederkunft erheblich bewanderter ist, als es Sorei je war. Theiwia nun konnte aufgrund des Alters des Beckens und der Halle keinen endgültigen Beweis für die Vermutungen der beiden jungen Leute finden, aber auch sie war nach der Besichtigung zu 99% sicher, dass es sich um ein Geburtsbecken handelte.

Der nächste Schritt war das Aufsuchen des Häuptlings der Aijnan. Da Mia und Ihlandîl mit Elethan unter einem Dach leben und sie einander enge Freunde sind, lief die Berichterstattung über kurze und schnelle Wege, ohne Hürden der Bürokratie. Elethan war von dem Fund nicht weniger begeistert, als es schon die beiden Weisen Frauen waren. Noch mehr aber war er dem Vorschlag aufgeschlossen, diesen Ort nicht zu einem weiteren Denkmal der Vergangenheit zu machen, sondern in das jetzige Leben der Aijnan wieder mit einzubinden und das Becken schlicht zu nutzen.

Rasch wurde also Bendhia hinzugezogen und in Rekordzeit wurde das Geburtsbecken freigelegt und der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Obendrein entstanden fast auf natürliche Art und Weise daneben eine Hebammenschule und eine kleine Klinik nur für schwangere Frauen. Auch ist es geplant, noch zusätzlich eine kleine Heilerschule direkt anbei zu errichten. Auf Wunsch Theiwias wird dort aber nur in der klassischen Kräuterheilkunde unterrichtet werden, da es sich einfach geziemen würde, in so unmittelbarer Nähe zu einem Ort der Niederkunft. Also einem vollkommen natürlichen Vorgang und deswegen die magische Heilung dort fehl am Platze wäre. Gerüchtehalber wurde aber auch vermutet, dass Theiwia als Verfechterin der klassischen Heilungsmethoden einfach darauf bestand, da es eine Sache ihres Herzens war. Auf jeden Fall wurde so durch die Hebammenschule, dem Hospital und dem uralten Geburtsbecken ein Kreis aus tiefster Vergangenheit und Gegenwart geschlagen.


Das alte Geburtshaus wurde indes von der Bevölkerung Ahinjamuhrs in rasendem Tempo angenommen. Das aus einfachem Grund. Zwar ist es Usus bei den Aijnan die Kinder innerhalb der eigenen vier Wände zu gebären, aber auch bei diesem Volk geht wahrlich nicht jede Schwangerschaft und Geburt ohne kleinere oder größere Komplikationen oder Probleme von statten. Und welche werdende Mutter und Vater wäre nicht höchst erfreut darüber, in einem solchen Fall in der Nähe der entsprechenden Fachkräfte zu sein, anstatt erst durch die halbe Stadt rennen zu müssen, um Hilfe zu holen?

So war das alte Geburtshaus seit seiner Eröffnung immer gut besucht und die Betten im Geburtshaus zu keinem Zeitpunkt vollkommen unbelegt. Außerdem kamen noch jene Frauen hinzu, die einfach eine Wassergeburt wollten. Vor allem aber mauserte sich das Haus als Treffpunkt der Schwangeren. Der natürliche Wunsch von Frauen, Zeit mit Ihresgleichen zu verbringen, der bei Schwangeren noch mal gesteigert scheint, fand in diesem Ort also auch noch seinen festen Platz. Dadurch kam man nicht umhin, noch ein weiteres Gebäude zu errichten, was einfach das Stillhaus geheißen wurde.

Entsprechend hat dieser Ort des Leben Schenkens im Volksmund gleich mehrere Bezeichnungen, die aber immer den Ort um den Fund Mias und Ihlandîl meinen, und das wären eben das (alte) Geburtshaus, das Stillhaus, die Hebammen- und die Kräuterfrauenschule. Eher scherzhaft werden aber auch Begriffe wie Säuglingssammelstelle, Aijnannest oder der große Schoß benutzt.


Trotzdem oder gerade deswegen ist es verständlich, dass die jungen Liebenden Mia und Ihlandîl immer wieder von schier grenzenlosen Stolz umfangen werden, wenn ein gemeinsamer Spaziergang die beiden an dem alten Geburtshaus vorbei führt – oder?