Pfote und Fisch

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Pfote und Fisch


Fasziniert beobachtete Chrini das glitzernde Funkeln vor ihr. Der schnelle Bach, an dem sie stand war bekannt für seine vielen Fische. Gerade heute sprangen die leckeren Silberstreifen sehr oft hoch in die Luft, um nach Fliegen und Mücken zu schnappen. Fisch ohne nasse Pfoten war immer ein Hochgenuss. Ein ums andere Mal schnellte die Pfote Chrinis nach vorn und als würde sie Obst von einem Baum pflücken, konnte sie den Fisch aus der Luft klauben. Mit der Zunge leckte sie sich über ihre Lippen, bleckte ihre Zähne und wollte gerade zubeißen, als ihr der dicke Laichsack am Bauch des Fisches auffiel. Mit großen, kalten Augen blickte die werdende Fischmutter der Mari in die Augen. Doch Chrini schloss ihren Mund wieder. Die Ohren zitterten leicht und mit einer Bewegung, die keinerlei Abscheu, aber sehr viel Mitleid zeigte, warf sie den Fisch zurück in den sprudelnden Bach.


Chrini atmete durch. Niemals hätte sie diese Tat über ihr Herz bringen können. Ein gutes Herz hatte sie, dafür war sie in ihrem Stamm bekannt gewesen und viele hörten deswegen auf ihren Rat. Was sich aber jetzt vor ihren Augen abspielte, so etwas hatte sie nie zuvor gesehen. Nicht einmal in all den vielen Geschichten ihres Volkes hatte sie je so etwas gehört.

Vor ihr begann der Bach zu blubbern, zu brodeln gar. Chrini sprang nach hinten, wollte flüchten, aber irgendetwas hielt sie zurück. Machte es ihr unmöglich, sich abzuwenden und davon zu rennen. Aus der schäumenden Gischt stieg ein gewaltiger Fischkopf hervor, der schon allein niemals hätte Platz in dem Bett des Baches hätte finden können. Im Kopf lagen wache, freundliche Augen. So ganz anders als bei jedem anderen Fisch. Diese Augen hatten Geist und Seele, das war ihr sofort klar. Der Fisch öffnete das große Maul und begann mit tiefer Stimme zu sprechen, die aber doch weiblich war.


Mein ewiger Dank sei Dir gewiss, Chrini aus dem Stamme der Mari. Verschont hast Du werdendes Leben und hast es so geheiligt durch Deine Tat. Indem Du Dein Herz vor Deinem Instinkt und Deinen Hunger gestellt hast, hast Du in meinem Namen gewirkt. Du hast bewiesen, dass die Mari würdig sind, zu bewahren und zu bewachen all das, was ich ersonnen vor undenklicher Zeit.

Für immer nun soll meine Hand schützend über Dir und all die Deinen liegen und in meinem Namen werden eure Taten und euer Sinnen sein. Du bist die Mutter einer neuen Säule des Lebens und fortan sollen die Männchen euch Weibchen gehorchen und immer sollt ihr spüren, wenn übles geschieht, damit ihr dieses Leid verhindern oder lindern könnt. Immer werdet ihr unermüdlich auf der Suche sein, nach Neuem und Unbekannten.

Gehe nun dahin, denn du bist die erste Fürstin der Mari.


So verschwand der Fischkopf, als wäre er nie da gewesen. Ganz benommen von den Worten des Fischs musste Chrini sich setzen. War dies alles nur ein Traum gewesen? Aber als sie aufschaute und die springenden Fische sah, da spürte sie sofort den Drang in sich einen fangen zu müssen. Als sie sich umsah und alles neu ausschaute und in ihr sich der Wunsch, ja der Drang, entfaltete sich alles genau anzusehen, auf eine Art, wie sie es zuvor nie gespürt hat, da wusste sie: Es war wirklich geschehen.

Sie stand auf und langsam ging sie zurück zu ihrem Stamm. Lange brauchte sie, denn immer wieder musste sie anhalten und sich all das schöne und spannende anschauen, was sie mit ganz neuen Augen sah.


Als sie ihr Dorf erreichte, knieten sich die anderen Mari vor ihr nieder, denn um Chrini war nun ein Glanz, dessen göttlichen Ursprung jeder fühlen konnte und den Chrini nur nicht wahrgenommen hatte bis dahin. So aber wurde sie, wie ihr prophezeit ward, die erste Fürstin der Mari.

Fortan hörten alle Männchen auf die Weibchen, denn immer schien es, dass ein kleiner, göttlicher Glanz aus ihnen zu schimmern schien, der aber nur im Licht ihrer Augen sichtbar wurde, wenn sie etwas Neues und Aufregendes sahen, aber alle ihre Worte waren weise und klug.

So zogen viele Mari von nun an aus. Nicht nur um erwachsen zu werden, sondern vor allem um die Welt zu erleben und all das Schöne und Wunderbare darin zu entdecken. Dadurch wuchsen die Geschichten und Abenteuer der Mari, wie bei keinem anderen Volk, dass sie aus ihren Wäldern kannten.

Aber auch spüren seit jenem Tag alle Mari, wenn Unrecht geschieht. Dies versuchen sie mit all ihrem Können und ihrem Verstand zu lindern, oder zu verhindern und wieder auf den rechten Weg zu leiten.


So wurden die Mari ein Volk der Göttin, die sie ehren und in deren Namen sie leben und handeln, seit jenem Tag, als Chrini den einen Fisch verschonte, der den Wandel über ein ganzes Volk brachte.

Aber wie die Mari vor jenem heiligen Tag waren, das wird nicht mehr überliefert, da erst ab dem Moment der göttlichen Begegnung die wahre Bestimmung der Mari offenbart wurde. So erzählen es sich die Mari noch heute und kein anderes Leben können sie sich vorstellen.


(Sage, wie sie bei den Mari auch heute noch erzählt wird. Sie wird bei diesem Volk fast als Glaubensmanifest und –bekenntnis in höchsten Ehren gehalten.)