Die lebenden Steine von Arsha'Tor

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Die lebenden Steine von Arsha'Tor


Ich schreibe dir, meine Geliebte, damit du dir keine Sorgen machst. Obwohl die letzten paar Monate alle Briefe von mir ausgeblieben sind, geht es mir gut.

Es sind nur einige sehr seltsame Dinge geschehen, von denen ich dir nun berichten will.


Ich ritt ja, wie immer im Frühling, aus Albaron los um weit im Süden die Federn der Regenbogenenten zu kaufen. Aber du weißt ja, dass ich immer ein Auge für neue und ungewöhnliche Ware offen halte und dass ich daher die Handelswege von Zeit zu Zeit verlasse, um weniger begangene Wege zu beschreiten. Balapur ist eine Welt voller Wunder und ich habe vor, einige davon zu Geld zu machen, um dir, mein Schatz, eine goldene Zukunft bieten zu können.


Aber lass mich fortfahren.

Ich hatte in einem kleinen Dorf übernachtet und dort seltsame Gerüchte gehört.

Ach ja, ich sollte vielleicht vorher noch erklären, dass mein Weg schon einige Tage am Rand eines gewaltigen Waldgebietes entlang geführt hatte. Mir schien es wie ganz gewöhnlicher Wald und ich habe auch bis dahin ruhig unter den Bäumen übernachtet aber als man in dem Dorf davon hörte, bekam ich von vielen Seiten zu hören, dass ich froh sein müsste noch am Leben zu sein.

Worum ging es also ... nun ... die Dorfbewohner berichteten mir von einem riesigen Wesen, das in dem Wald leben sollte. Sie sagten, es verschlinge Menschen und lasse nicht einmal Knochen zurück. Viele Reisende seien diesem Ding schon zum Opfer gefallen. Das einzige, was von Zeit zu Zeit zu finden war, waren Kleidungsstücke. Aber selbst auf diesen war kein Blut oder ähnliches. Sie wirkten einfach wie weggeworfen.

Ich fragte nach, was sie zu der Annahme brachte, es wäre ein riesiges Lebewesen, da erzählten sie mir von gewaltigen Abdrücken im Waldboden. Riesige Löcher allerdings ohne eine Spur von normalen Pfoten oder Klauen.


Ich bin vorsichtig, wie du weißt - und gerade hier auf Balapur wäre man ein Idiot würde man nicht an die seltsamsten Dinge glauben. Ich nahm mir die Warnungen also zu Herzen und fragte nach dem nächsten zu erreichenden Gasthof. Man gab mir freundlich Auskunft und ich verbrachte eine ruhige Nacht.


Am nächsten Morgen brach ich früh auf um den genannten Gasthof vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Du selbst hast mir dazu geraten, ein Ersatzpferd mitzunehmen, seit meine kleine Niila im letzten Jahr lahm wurde und ich die schwere Entscheidung zu treffen hatte, ob ich lieber zu Fuß gehen, oder einen Teil meiner Ware zurücklassen und auf dem Packmaultier reiten wollte. Dieses Mal war ich besonders froh, dass ich deinem Rat gefolgt bin. Auf diese Weise konnte ich oft das Pferd wechseln und ich kam gut voran.


Ich ritt also recht zügig den Weg entlang, als sich dieser gabelte. Ich hielt an und überlegte. Die Leute im Dorf hatten keine Weggabelung erwähnt. Seltsam.

Ich ritt ein Stück zurück um zu sehen, ob ich irgendwo einen Wegweiser oder einen zweiten Weg übersehen hatte. Aber da war nichts. Der Weg lag gerade und golden in der Frühlingssonne vor mir.

Ich drehte also um und ritt zu der Abzweigung zurück. Der eine Weg führte in den Wald, der andere führte weiter am Waldrand entlang. Da ich mich ja vom Wald selber fern halten sollte, entschied ich mich für den zweiten.

Ich ritt also weiter und der Weg führte ebenso wie schon die Tage zuvor am Waldrand entlang. Als die Sonne langsam auf den Horizont zu kroch, begann ich, nach dem Gasthof Ausschau zu halten.

Man hatte mir gesagt, ein flotter Tagesritt würde ausreichen. Ich hielt also die Augen offen, doch immer noch war links neben mir Wald und rechts neben mir Wiese und Hügelland. Keine Spur von einem Gasthof. Hatte ich zu viel Zeit an der Weggabelung verschenkt? Ich trieb die Tiere zu einem flotten Kanter. Doch nichts ... immer noch nichts. Ich begann nervös zu werden. Die Abenddämmerung setzte ein und es war weit und breit kein bewohntes Fleckchen zu sehen.

Als schließlich die Dunkelheit hereinbrach, musste ich mir eingestehen, dass ich wohl entweder den falschen Weg genommen oder den Gasthof irgendwie verpasst hatte.


Ich ritt noch eine kleine Weile nach Anbruch der Dunkelheit weiter, denn es war eine helle Vollmondnacht, doch schließlich musste ich alleine schon der erschöpften Tiere wegen Rast machen. Ich suchte mir ein Fleckchen weiter vom Wald weg hinter einem kleinen Hügel. Ich hoffte, dort etwas sicherer zu sein.

Ich pflückte die Tiere an, machte ein kleines Feuer und begann dann damit, die beiden Reitpferde und das Packmaultier ordentlich zu versorgen. Da ich immer noch sehr besorgt war, sattelte ich die Tiere jedoch nicht ab sondern lockerte lediglich die Sattelgurte etwas. Du verstehst bestimmt - für den Fall, dass ich mitten in der Nacht plötzlich flüchten musste.


Es war ein langer Tag gewesen und ich war sehr müde. Eine Weile hielt mich noch meine Nervosität wach doch dann beschloss ich, meinem Glück einmal mehr zu vertrauen und mir auch etwas Ruhe zu gönnen.

Ich schlief recht ruhig bis mich das Wiehern eines der Pferde weckte. Ich schreckte auf und konnte gerade noch das Hinterteil meines Packmaultieres über den Hügel verschwinden sehen. Ich konnte nicht erkennen ob man es gestohlen hatte oder es sich einfach losgerissen hatte aber dieses Tier trug all die kleinen Dinge, die ich für die Federn hatte tauschen wollen! Meine gesamte Handelsware! Ich konnte es nicht einfach ziehen lassen!


Ich stürzte also dem Tier nach, in der Hoffnung es noch vor dem Waldrand zu fassen zu bekommen. Schon konnte ich die dunkle Wand des Waldes vor mir aufragen sehen - und mein Maultier, das gerade dabei war, darin zu verschwinden. Ich lief noch schneller, die ersten Zweige streiften mich und dann ...

Tja dann sah ich einen Moment nur Sterne ... und es waren nicht die des Nachthimmels. Ich war mit voller Wucht gegen einen Baum gerannt. Ein Baum? Das konnte eigentlich nicht sein ... das hier war noch lichtes Unterholz. Nein. Über mir erhob sich ein Steinpfeiler. Der Vollmond hüllte ihn in silbriges Licht und ich konnte die Runen sehen, die den bestimmt fünf Meter hohen Giganten über und über bedeckten.


Ich schüttelte meinen immer noch schmerzenden Kopf und dachte, ich würde mir Dinge einbilden als ich in meinem Geist eine Stimme hörte. Aber was für eine Stimme! Sie war ruhig und sanft aber gewaltig.

"Es tut mir leid, dass du Schmerzen hast, Kind."

In diesem Moment fühlte ich, wie mein Schädel aufhörte zu dröhnen und mein Blick wurde wieder klar.

"Es ist niemals unsere Absicht, Schmerz zuzufügen." hallte, wisperte und sprach die Stimme in meinem Kopf.


Nun bin ich ja in Albaron aufgewachsen und habe viele magische und kultische Dinge gesehen. Du weißt ja, meine Geliebte, dass mich nichts so leicht aus der Ruhe bringt. Trotzdem - in diesem Moment hätte ich wenigstens ängstlich sein müssen - doch was immer ich hätte fühlen sollen ... alles, was ich fühlte war Neugier.

"Du sollst keine Angst haben, Kind." sprach die Stimme "Wir sind hier um Schmerz und Angst zu nehmen, nicht um sie zu verursachen." "Wer ... oder ... was ..." stammelte ich.

"Wir sind die lebendigen Steine von Arsha'Tor" sprach die Stimme.

Ich sah mich um. Doch da waren keine anderen "Ähm ... wir?" fragte ich nach.

"Wir sind viele doch nicht immer alle ... anwesend und sichtbar." erklärte die Stimme ruhig.


Ich setzte mich auf. Es schien nicht so, als wäre ich in unmittelbarer Gefahr und irgendwie ... tja ... ich war eben neugierig. "Und was seid ihr nun?"

"Wir sind von der Herrin des Lebens geschaffen. Wir sind geschaffen um den Tod zu schenken."

Nun hätte ich ja wirklich Angst haben müssen - aber die blieb immer noch aus.

"Äh ... den Tod?" fragte ich "Muss ich denn sterben?"

Und in diesem Moment dachte ich mit Trauer an dich, meine Liebste.

"Nein. Du wirst deine Gefährtin wiedersehen. Wir haben dich erwählt um anderen die Angst zu nehmen."


Ich stand nun ganz auf und sah an der riesigen Steinsäule hoch.

"Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz."

"Wir sind geschaffen, um den Tod zu geben - jenen, deren Zeit gekommen ist, jenen, die große Schmerzen haben, jenen, die Angst vor dem Tod haben. Wir rufen sie zu uns, falls sie bereit sind, zuzuhören."

Ich sah zu Boden und nur zu deutlich war zu sehen, dass der Stein einen riesigen Abdruck hinterlassen würde.

"Ihr seid die, die die Leute verschlucken, wie man mir gesagt hat?"

Ein tiefes, sanftes Lachen ertönte in meinem Geist.

"Wir nehmen sie auf und führen ihre Seelen in Stille und Frieden dahin, wo die Mutter sie in die Arme schließt."

Ich weiß nicht warum, meine Liebste, aber ich wusste, dass er die Wahrheit sagte. Ich konnte sie fühlen, weißt du? Meine ganze Familie hat seit Generationen die Göttin angebetet und zwei meiner Schwestern sind ja sogar Priesterinnen. Ich nehme an, das ist einer der Gründe, warum man mich auserwählt hatte.


"Und ... warum bin ich dann hier?"

"Weil man uns fürchtet. Doch wir wollen keine Angst verbreiten. Du sollst denen, die hier leben sagen, was wir sind und warum wir geschaffen wurden."

"Oh ... ich ... Ähm ... na ja, gut. Ich hoffe nur, sie glauben mir."

"Was sie glauben oder nicht, müssen sie selbst entscheiden. Doch es muss gesagt werden."

Ich nickte. War es doch einer der Glaubensgrundsätze meiner Religion dass niemand zu etwas gezwungen werden durfte.


In diesem Moment verschwand der Stein einfach - nur der Abdruck blieb zurück.


Nun ja ... was soll ich noch schreiben, mein Herz. Ich stand noch lange dort, erstaunt, erfasst, überwältigt. Bis mir mein Maultier ins Gesicht prustete und mich aus meinen Gedanken riss.

Ich kehrte zu den anderen Tieren zurück und wartete auf den Morgen. Die nächsten paar Wochen verbrachte ich damit, in allen Dörfern, am Waldrand entlang zu berichten, was ich erlebt hatte.


Viele glaubten mir nicht, andere schon, wieder andere waren zumindest nachdenklich. Man begann zu vergleichen, wer aus den Dörfern auf diese Weise verschwunden war - und kam zu dem Schluss, dass es tatsächlich immer die Kranken, Alten oder von Schmerzen geplagten gewesen waren.


Und weil es dort keine Möglichkeit gab, einen Brief zu verschicken, hast du so lange nicht von mir gehört. Inzwischen bin ich aber auf dem Heimweg. Die Geschäfte liefen trotz der Verspätung erstaunlich gut - besser als die letzten fünf Jahre, sogar.

Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen.

Ich liebe Dich.